Meine Lieben!
Es ist der 25. Dezember, Nachmittag vier Uhr.
Gestern war Weihnachtsabend.
Wir bekamen ein Kieferbäumchen und fingen um sechs Uhr mit der Weihnachtsfeier an.
Wir schmückten es mit Watte, Silberpapierstreifen von Zigarettenschachteln und Sternen.
Daneben stellten wir drei Kerzen.
Die anderen drei Kerzen erleuchteten den Baum.
Wir sangen Weihnachtslieder.
Dazwischen hörten wir abwechselnd am Telefonhörer die Weihnachtsfeier aus dem Reich.
Ich konnte viele Weihnachtslieder in mehrstimmigem Chor hören.
Um acht Uhr brachten unser Hauptmann und unser Leutnant mit zwei Trägern Weihnachtsgeschenke.
Von der Kompanie bekam jeder eine Dose Ölsardinen, eine Schachtel Schuhcreme und Rasierklingen, vom Bataillon ein Päckchen und eine Rolle Gebäck, Zigaretten, eine Tafel Schokolade und eine Menge Drops.
Zusätzlich bekam jeder ein Päckchen mit folgendem Inhalt:
Ein Kopfschützer, eine Flasche Kognak, Rasierklingen, Gebäck, Wybertbonbons und Äpfel.
Das war eine wirklich reiche Bescherung.
Es gab noch eine besondere Überraschung:
Der Hauptmann drückte meinem Truppführer die Unteroffiziersliste in die Hand.
Von zehn bis zwölf musste ich auf Posten ziehen.
Das war die ruhigste Zeit, um an Euch zu denken.
Ich hatte Euch den ganzen Abend nicht vergessen und mir ein Bild vom Fest gemacht.
Hoffentlich waren keine Flieger bei Euch, dass Ihr ruhig schlafen konntet.
Bei uns war es ruhig, der Feind wird ebenfalls Weihnacht gefeiert haben.
Die Musik des Krieges war verhalten.
Einige Schneestürme, die fast ununterbrochen tobten.
Sobald sie ein wenig nachließen, sah man schwere graue Wolken.
Wenn man bei solchem Schneesturm auf dem Wege ist, sieht man nicht mehr als einen halben Meter weit.
Das ist weitaus schlimmer als die dunkelste Nacht, denn alle Spuren sind verweht.
Wenn da nicht jeder Zentimeter im Gelände bekannt ist, muss das Weitergehen aufgegeben werden.
Der Eingang der Hütte muss laufend freigeschaufelt werden.
Der Schnee bleibt hier nicht liegen wie bei uns, er fliegt andauernd.
Hinter uns liegen die kürzesten Tage.
Es wurde nie richtig hell.
Heute Abend hat es wieder Kleinigkeiten gegeben.
Irgendjemand hat Briefpapier, Bleistifte, Sicherheitsnadeln und Taschenspiegel an die Kompanie geschickt.
Darunter war ein Skatspiel und ein Mensch-ärgere-dich-nicht.
Beides haben wir gleich eingeweiht.
Eine solche Weihnacht habe ich mir wirklich nicht vorgestellt.
Auf dem Vormarsch wäre es anders gewesen, aber diese Witterung bietet allen energisch Halt.
Außerdem gab es heute ein gutes Essen:
Kartoffelbrei mit Sauerkraut und Speck – eine Delikatesse.
Hier gibt es höchstens Trockenkartoffeln, denn für Frischware ist der Transport zu weit.
An meinem Bericht seht Ihr, dass uns fast nichts gefehlt hat.
Wir können für alles froh und dankbar sein.
Nicht alle Soldaten an der Front hatten es diesbezüglich so gut, wie wir hier am Eismeer.
Euer Wilhelm
-Wilhelm Mager, am 25.4.1945 starb er in sowjetischer Gefangenschaft am Ladogasee-
@DeutscheDD