In Gedanken daheim
Es war das Jahr 1941 und für uns damals das erste Jahr im Feindesland.
Bei Beginn des Winters ritten wir aus der Ukraine auf die Insel Krim am Schwarzen Meer.
In der Schule hatten wir gelernt, dass dort Mittelmeerklima herrschen würde und dass es Palmen und Orangenbäume gäbe.
Einen ganzen Tag lang marschierten wir zu Fuß, bei strömendem Regen, durch ein Gebirge.
Ein eiskalter Wind pfiff durch den Wald.
Von Palmen keine Spur.
Es war der 24. Dezember, zu Hause wurde Heiligabend gefeiert.
Das Wasser lief vom Stahlhelm herunter in den Kragenrand hinein und aus den kniehohen Reitstiefeln wieder heraus.
Wir waren völlig durchnässt und durchgefroren.
Wir machten am Abend in einem tief eingeschnittenen Hohlweg halt.
In den steilen Hang gruben wir Löcher, so dass wir drin sitzen konnten.
Als junger Soldat war ich Gehilfe des Sanitätsunteroffiziers.
Eine Arbeit, die eigentlich keiner gerne übernahm, denn es war ja nicht ganz ungefährlich.
Gerhard, mein Sanitätsunteroffizier, stammte aus dem Erzgebirge.
Er war von schmächtiger Gestalt, aber zäh und unermüdlich.
Vielen hat er das Leben gerettet.
Wenn es darauf ankam, waren wir beide ein unschlagbares Team.
Vor unserem Loch hängten wir eine Zeltbahn auf, um etwas vor Wind und Regen geschützt zu sein.
In der völlig durchnässten Bekleidung war es schwer, warm zu werden. Gerhard erhielt an diesem Abend eines der so begehrten Feldpostpäckchen.
Es war eigentlich für den ersten Advent bestimmt gewesen.
Aber die Post brauchte nun mal viele Wochen, bis sie uns so weit draußen an der Front erreichte.
So war es für uns nun zum Weihnachtsgeschenk geworden.
Das Auspacken des winzig kleinen Päckchens wurde zu einer Zeremonie.
Wir genossen jede Sekunde.
Die Heimat kam zu uns und war doch so weit entfernt!
In der Verpackung steckte eine Adventskerze, ein kleines, nach der wochenlangen Transportzeit reichlich luftgetrocknetes Hartwürstchen und ein paar Weihnachtsplätzchen!
Wir waren glücklich!
Ein Hauch vom heimatlichen Weihnachtsfest war bei uns angekommen.
Nässe und Kälte waren vergessen.
Unsere Gedanken waren bei den Lieben daheim, die zu dieser Stunde sicher im warmen Stübchen saßen, um Weihnachten zu feiern und an ihre Soldaten an der Front dachten.
Irgendwoher hatten wir ein Stück Brett erwischt, das wir in die Wand unserer Behausung rammten.
Es war unser Tisch.
Die Kerze wurde daraufgestellt.
Glücklicherweise hatten wir auch ein Streichholz, um sie anzuzünden.
Zuerst wärmten wir unsere klammen Finger etwas über der kleinen Flamme.
Dann zog ich behutsam das kleine Würstchen über der Kerzenflamme hin und her, um es zu braten.
Köstlicher Duft zog uns in die Nasen.
Wir hatten einen Weihnachtsbraten!
Natürlich teilten wir uns das gebratene Würstchen.
Jeder bekam die Hälfte.
Gerhard spielte auf seiner Mundharmonika Weihnachtslieder.
Ein paar Plätzchen hatten wir ja auch noch.
Vielleicht wurden uns die Augen auch etwas feucht.
In unseren Gedanken waren wir bei unseren Lieben daheim...
-Ernst Fischer-
@DeutscheDD