Reden wir über Postdemokratie
Der freiheitsliebende Saarbrücker Literaturwissenschaftler Günter Scholdt hat aus seinem hochproduktiven Unruhestand heraus dem Establishment schon wieder ordentlich vors Schienbein getreten - aber natürlich nur in Buchform!
In »Reden wir über Postdemokratie« trägt der Autor in bewährter Weise seine kluge Analyse mit großem Sprachwitz vor. Trotz des ernsten Themas darf man bei der Lektüre deshalb auch immer mal wieder lächeln, was durchaus angenehm ist.
Auf knapp 100 Seiten entfaltet Günter Scholdt seine Gedanken über den Zustand der Demokratie im »besten Deutschland aller Zeiten« (Frank-Walter Steinmeier). Dabei rekrutiert er auf das Konzept der Postdemokratie, wie es vom britischen Politologen Colin Crouch 2003 konkretisiert wurde. Crouch stellte vor fast zwanzig Jahren einige zentrale Indikatoren für die Existenz einer Postdemokratie vor: Der Wahlkampf wird zur inhaltsleeren Kampagne, der Regierungswechsel verliert an Bedeutung, die politischen Entscheidungen werden in kleinen Führungszirkeln getroffen, der Riß zwischen Volk und Elite vergrößert sich, die Wahlbeteiligung sinkt, die Verachtung auf die politische Klasse steigt und die Demokratie wird zur Fassade. (S.46)
»Der Rechtsstaat wird umgebaut«, führte der Rechtswissenschaftler Oliver Lepsius in der FAZ am 10. Dezember 2021 noch recht vorsichtig die offenkundigen schlechten Tendenzen aus. Scholdt wird deutlicher und weist nach, daß der postdemokratische Umbau unseres Staatswesens schon bedrohlich weit fortgeschritten ist.
Dazu wird die sich wandelnde Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ebenso in den Blick genommen, wie die Wucherung des Parteienstaates. Bezugnehmend auf die berühmte Aussage Abraham Lincolns, daß Demokratie die Herrschaft des Volkes durch das Volk und für das Volk bedeutet, überprüft er die politische Praxis der Bundesrepublik Deutschland auf ihren wirklichen Demokratiegehalt. Besonders erschreckt die Intensität der Netzzensur. So erfährt man, daß YouTube zwischen Mai 2019 und Ende 2020 mehr als 25.000 Konten sperrte und Facebook ca. 18 Millionen Inhalte mit angeblichen Falschaussagen zu COVID 19 löschte. (S.71)
Daß schon Otto von Bismarck postdemokratische Methoden angewandt haben soll, nehme ich zur Kenntnis, möchte aber darauf verweisen, daß der Reichskanzler immerhin die Größe hatte, zu seinen über viele Jahre abgehaltenen privaten parlamentarischen Abenden stets die »Reichsfeinde«, also die sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten, einzuladen. Allerdings sind meines Wissens August Bebel & Co. diesen Einladungen nie gefolgt.
In zahlreichen aktuellen Beispielen kann Günter Scholdt eine verdichtete Indizienlage zusammenführen, die beinahe die Qualität eines Beweises hat: Der Rechtsstaat des Grundgesetzes ist schon so stark postdemokratisch transformiert, daß wir tatsächlich nur noch von einer Fassadendemokratie sprechen können.
Im letzten Satz faßt der Autor seine Einsicht nochmal zusammen:
»Es ist höchste Zeit, Illusionen über Bord zu werfen und sich über die gravierendsten Mängel einer Gemeinschaft klarzuwerden, die mal als Rechts-; Freiheits- und Mitbestimmungsstaat konzipiert war. Vom bloßen Versprechen demokratischer Filets wird nämlich niemand satt, wenn nur Knochen serviert werden. Es sei denn – ein Hund.« (S.94)
Das Buch eignet sich gut für den Einstieg in das Thema »Postdemokratie«. Es stellt auch eine Fundgrube an Ideen für politische Reden dar. Insofern empfehle ich seine Lektüre auch meinen dahingehend aktiven Parteifreunden und volksoppositionellen Aktivisten jenseits der Partei.
Erschienen ist das Buch in der Reihe »Politikon« des Freilich-Verlages. An der Stelle möchte ich anmerken, daß auch das
@freilichmagazin Aufmerksamkeit verdient. Alle zwei Monate präsentiert sich das aus Österreich stammende Projekt mit inhaltlich und optisch ansprechendem alternativen Journalismus.
➡️ Zum Buch.
➡️ Zum Freilich Magazin. 🇩🇪 Folgen Sie mir auf Telegram:
@BjoernHoeckeAfD