Nach „lange überlegt“ und entsprechend durchdacht klingt dieser Kommentar leider nicht.
Auch wenn die Definition Kapitalismus in Bezug auf Deutschland spätestens seit der Bankenrettung nicht mehr im Sinne eines freien Marktes greift, sollte es dennoch auch für Libertäre kein Geheimnis sein, dass der Markt durch das Großkapital bestimmt wird und Regierende letztlich als Marionetten führender Vermögensgesellschaften handeln.
Dejan liegt völlig richtig damit, dass der Staat „als Gewaltapparat [dient], um den Willen der Konzerne und Oligarchen durchzusetzen.“
Ich stelle mal eine Gegenfrage in den Raum: Wie würde der reine Markt-Libertarismus mit den genannten Beispielen verfahren?
Entrechtung und Degradierung gäbe es dort nicht, oder wäre selbiges deshalb hinzunehmen, weil das Recht des Stärkeren den Markt bestimmt, bzw. gilt die Freiheit dann nur für solche, die sie sich leisten können?
Den hundert Prozent freien Markt beherrschen zwangsläufig diejenigen mit dem größten Vermögen und damit der größten Macht.
So brutal wie Amerika gegen die indianische Urbevölkerung vorgegangen ist, so geht Israel noch heute gegen die Palästinenser vor, ganz offen, denn hinter dieser Regierung stehen eben diejenigen, die die Fäden ziehen und die Narrative bestimmen.
Imperialistischer Kapitalismus wird darüber hinaus immer auf billige Arbeitskräfte angewiesen sein, um den Gewinn zu maximieren und Macht zu sichern.
Ich durfte im südamerikanischen Peru Zeuge der Auswüchse derlei Strukturen werden.
Dort gibt es Menschen, die Tag für Tag körperlich und seelisch ausgebeutet werden, indem sie für einen Hungerlohn als Lastenträger missbraucht werden.
Der Inka-Trail mit Ausgang am Machu Picchu ist eine der größten Touristenattraktion in Südamerika, buchbar nur als geführte Tour; 45 km, hoch bis auf 4.200 Meter.
Zwecks Versorgung der Kunden müssen Essen, Zelte und sämtliches Zubehör auf diesem Weg verfügbar sein.
Auch die peruanische Regierung macht hier zumindest Vorgaben dazu, wie schwer diese Last sein darf, etwas, das im Libertarismus gar nicht erst existieren würde.
Dort könnten die verschiedenen Unternehmen, das Gewicht der Last bis an die körperlich machbare Grenze ausreizen. Der Träger selbst hätte keine Möglichkeit, sich dagegen zu wehren.
So halten sich tatsächlich auch ansässige Unternehmen kaum an eine Obergrenze der Kilos, die durch die Anden getragen werden. 20 Kilogramm ist bereits viel, wird allerdings teilweise um mehr als das Doppelte überschritten; allen voran das grüne Unternehmen „
alpaca expeditions“, das sich nicht nur als „einziges Unternehmen mit 4 ISO + Green FootPrint“ bezeichnet, sondern sich auf seiner Website zudem damit rühmt, sich dafür einzusetzen, „das Leben [seiner] Mitarbeiter und ihrer Familien durch bessere Löhne und Dienstleistungen zu verbessern.“
Tatsächlich erhalten die Träger 20 $ am Tag für ihre Knochenarbeit, die sich buchstäblich lebensgefährlich nah am Abgrund bewegt.
Am Ende eines jeden Tages dürfen sie dann auch noch brav den Wanderern applaudieren für die Leistung deren selbst gewählten Freizeitvergnügens.
Wessen Produkt ist eine solche, menschenverachtende Ausbeute, wenn nicht die eines Systems, das den Profit und damit das Kapital über alles stellt?
gez. Annika Hoberg